Taxonomie – Fragen und Antworten
14. März 2022
Taxonomie – Fragen und Antworten
Als ob es den schrecklichen Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine nicht geben würde und trotz der horrenden Gaspreise hält die Europäische Kommission unverdrossen an ihrem „Nachhaltigkeitslabel“ für fossiles Gas und Atomstrom fest. Am Tag, an dem die Staats- und Regierungschefs darum ringen, wie die Abhängigkeit von russischen Energieimporten schnellstmöglich verringert werden kann, übersendet die Europäische Kommission den zweiten Delegierten Rechtsakt zur EU-Taxonomie an das Europäische Parlament. Damit begann am 09. März 2022 die vier Monate dauernde Frist, in der wir Europaabgeordnete oder die EU-Mitgliedstaaten das Greenwashing von Atom und Gas noch stoppen können. Unsere Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz wird selbstverständlich Einspruch gegen den Delegierten Rechtsakt einlegen. Wir brauchen aber eine absolute Mehrheit der Europaabgeordneten. Dafür werden wir kämpfen!
Die EU-Taxonomie muss Investitionen begünstigen, die der europäischen Energiesicherheit und Unabhängigkeit dienen, statt die Energieexporte von Drittstaaten zu unterstützen. Solange die Europäische Union auf Atomstrom und fossile Energieträger baut, bleibt sie erpressbar. Unabhängig machen uns Erneuerbare Energien und Energieeffizienz.
In seiner Resolution zum Ukrainekrieg sprach das Europäische Parlament sich mit überwältigender Mehrheit für ein Ende der Zusammenarbeit mit Russland im Nuklearbereich aus. Denn nicht nur AKW-Technik, etwa für die Atommeiler russischer Bauart in der Slowakei, in Tschechien, Bulgarien und Ungarn, sondern auch Brennstoff wird in großen Mengen aus Russland importiert. Die Europäische Union bezieht jeweils ein Viertel ihres Urans aus Russland, Niger und Kasachstan; der Rest kommt aus Kanada, Australien und Namibia.
Was ist die Taxonomie – und was nicht?
Die EU hat mit der Taxonomie ein Rahmenwerk zur Erleichterung von ökologisch nachhaltigen Investitionen geschaffen. Es soll sich auf alle Finanzprodukte beziehen. Für diese soll zukünftig nachgewiesen werden, zu welchem Anteil Investitionen auch wirklich in ökologisch nachhaltige Aktivitäten fließen. Ab 2023 müssen Finanzunternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen bei ihren Investitionen oder Finanzprodukten angeben, welcher Anteil als ökologisch nachhaltig einzustufen ist. Das betrifft rund 6000 Unternehmen in der EU. Damit werden die meisten Banken, Versicherungen und auch Pensionskassen und Rentenfonds in die Taxonomie einbezogen.
Die Taxonomie-Verordnung wurde 2019 zwischen Europäischem Parlament und dem Rat der Mitgliedstaaten verhandelt und abschließend beschlossen. In ihr wurden Grundlagen zur Einstufung von Technologien und Aktivitäten sowie das Prinzip des „do no significant harm“ („richte keinen maßgeblichen Schaden an“) festgelegt. Im Energiebereich werden Erneuerbare Energien als nachhaltig betrachtet. Andere Investitionen können als Übergangstechnologien (transitional) und ermöglichende Technologien (enabling) eingestuft werden. Dabei müssen sie jedoch einige Voraussetzungen erfüllen: Die Technologien und Aktivitäten selbst werden in sogenannten „delegierten Rechtsakten“, das sind auf der Verordnung fußende Erlasse, festgelegt.
Es handelt sich bei der Taxonomie explizit nicht um eine Leitlinie zur Genehmigung oder Beschränkung von Technologien. Im Bereich der Energieerzeugung ist das auch gar nicht möglich, da jedem Mitgliedstaat gemäß Artikel 194 der Europäischen Verträge die Wahl seines Energiemixes freigestellt ist.
Was sind die Kriterien für die EU-Taxonomie?
Grüne Investitionen müssen bestimmte Kriterien einhalten, um als ökologisch nachhaltig eingestuft zu werden.
1) Sie müssen einen substanziellen Beitrag zu mindestens einer der folgenden ökologischen Zielvorgaben leisten:
- Klimaschutz
- Klimafolgenanpassung
- Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser und marinen Ressourcen
- Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft (circular economy)
- Kontrolle von oder Maßnahmen gegen Umweltverschmutzung
- Schutz und Renaturierung von Biodiversität und Ökosystemen
2) Die Investitionen dürfen keinen signifikanten Schaden bezüglich der oben genannten ökologischen Zielvorgaben anrichten.
3) Internationale Menschenrechte und Mindest-Arbeitsstandards müssen eingehalten werden (konkret: Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen).
Warum kommt der Vorschlag zu Atom und Gas jetzt auf den Tisch?
Da im Rahmen der Verhandlungen insbesondere zur Rolle von Erdgas und Atomkraft keine Einigung erzielt werden konnte, wurde die Klärung dieser Punkte verschoben und die Europäische Kommission aufgefordert, auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse einen Delegierten Rechtsakt vorzulegen. Zur Beurteilung der Nachhaltigkeit von Atomkraft wurde die Gemeinsame Forschungsstelle der EU-Kommission (Joint Research Centre JRC) mit einem Gutachten beauftragt. Dieses Gutachten (Copyright hat interessanterweise die Europäische Atomgemeinschaft EURATOM) wurde 2021 vorgelegt und kam zu dem Ergebnis, dass Atomkraft keinen nachhaltigen Schaden anrichte. Viele der darin getroffenen Annahmen und Schlussfolgerungen stießen allerdings auf starke Kritik (dazu unten mehr). Die EU-Kommission bat daraufhin den Wissenschaftlichen Ausschuss für Umweltrisiken SCHEER um eine Stellungnahme. Auch der SCHEER kam zu dem Schluss, dass die Betrachtung des JRC unvollständig und fehlerhaft ist (vollständiger englischsprachiger Bericht hier). Allerdings verstärkte sich der Druck, Atomkraft in die Taxonomie aufzunehmen, sowohl von Seiten einiger Mitgliedstaaten (allen voran Frankreich), als auch von Seiten wirtschaftlicher Akteure wie Electricité de France und Breakthrough Energy. Etliche zentral- und osteuropäische Länder, aber auch Deutschland wollten wiederum erreichen, dass fossiles Erdgas in die Taxonomie aufgenommen wird.
Im ersten Delegierten Rechtsakt vom Juni 2021 wurden eine Vielzahl von Aktivitäten als „nachhaltig“ klassifiziert, die Entscheidung über Atom und Gas aber nochmals verschoben. Die deutsche Bundestagswahl und auch die französische Präsidentschaftswahl haben bei der Verschiebung eine Rolle gespielt. Letztlich ist es zum erwartbaren „schmutzigen Deal“ gekommen: sowohl Atomkraft als auch fossiles Erdgas sollen gemäß dem Kommissionsentwurf als „transitional“, also Übergangstechnologien auf dem Weg zur Klimaneutralität eingestuft werden.
Gibt es Bedingungen für die taxonomiekonforme Ausgestaltung von Atomenergie und fossilem Gas?
Ja, aber die Bedingungen sind sehr weit auslegbar.
Atomkraftwerke müssen gemäß den Sicherheitsregeln der europäischen Atomgemeinschaft gebaut und betrieben werden – was eine Selbstverständlichkeit ist! Sie sollen nur „minimal“ Abfall verursachen – ohne, dass „minimal“ definiert wird. Für Rückbau und Endlagerung muss es einen Fonds geben. Bei hochradioaktivem Atommüll soll ein Konzept (!) zur Endlagerung als Beweis für unschädliche Entsorgung ausreichen, bis 2050 muss dann ein Endlager gebaut worden sein. Der extrem umweltschädliche Uranbergbau spielt in der Beurteilung keine Rolle. Ebenso wenig interssiert es die Kommission, was die Folgen von Nuklearunfällen wären, obwohl das im Rahmen der Taxonomiekriterien und des „Do no significant harm“ – Kriteriums hätte untersucht werden müssen. Darauf angesprochen antwortete die EU-Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und die Kapitalmarktunion, Mairead McGuinness, Kohlekraft sei auch tödlich. Selbst Laufzeitverlängerungen von Uraltkraftwerken sollen als nachhaltig gelten. Die Laufzeitverlängerung bestehender Reaktoren soll bis 2040 möglich sein – zynisch, denn viele französische AKW haben ihre Laufzeit bereits weit überschritten. Statt der beim Bau genehmigten Höchstbetriebsdauer von 40 Jahren sollen uralte Pannenreaktoren bis zu 60 Jahre lang laufen.
Fossiles Gas soll als nachhaltig gelten, wenn ein vor 2030 genehmigtes Kraftwerk ein Kohle- oder Ölkraftwerk ersetzt, in einem Land gebaut wird, welches den Kohleausstieg beschlossen hat und nicht mehr als durchschnittlich 270 g CO2/kWh über 20 Jahre emittiert (Lebenszyklusanalyse). Höhere Emissionen sind möglich, wenn im Jahresdurchschnitt nicht mehr als 550 kg CO2 pro Kilowatt installierter Leistung emittiert werden, das Kraftwerk also deutlich weniger als 2.000 Stunden pro Jahr läuft. Durch die 20-Jahres-Regelung entsteht ein Schlupfloch, weil zunächst erheblich höhere Werte möglich sind. Wenigstens sollen die Emissionen durch einen unabhängigen Auditor jährlich an die Kommission berichtet werden, damit festgestellt werden kann, ob die Einhaltung des Durchschnittwertes in Reichweite bleibt. In jedem Fall soll Methanschlupf vor Ort vermieden werden. Die Methanemissionen der Vorkette, die bis zu 30% der Klimawirkung von Erdgas ausmachen, werden ignoriert. Methan ist ein überaus starkes Klimagas, das über 20 Jahre gerechnet die 82-fache Wirkung von CO2 hat; die Kommission rechnet jedoch mit dem 100-Jahres-Wert, der aufgrund der begrenzten Lebensdauer von Methan in der Atmosphäre viel niedriger liegt. Außerdem sieht der Vorschlag ab 2035 den Betrieb mit „low carbon“ Gasen vor. Diese sind definiert als Gase, die 70 % weniger CO2 emittieren als fossiles Erdgas. Bei Fernwärme soll der Ersatz flüssiger und fester fossiler Brennstoffe durch Erdgas als nachhaltig gelten, wenn „Erneuerbare die Energie nicht effizient bereitstellen können“. Zu dieser „Bedingung“ gibt es keine genauen Angaben oder gar messbare Kriterien.
All diesen in der Zukunft liegenden Kriterien ist gemeinsam, dass eine Sanktionierung bei Nichteinhaltung praktisch nicht möglich ist. Wenn ein Kraftwerk einmal mit „grünem“ Geld finanziert wurde, wird es bestimmt nicht wieder abgerissen, falls es die Bedingungen der Taxonomie nicht erfüllt. Auf dieses Problem angesprochen, entgegnete Kommissarin McGuinness, die Fondsherausgeber hätten ja Angst um ihren guten Ruf und würden deshalb schon dafür sorgen, dass die Kriterien eingehalten würden. Wie, bleibt nach wie vor im Dunkeln.
Wie weit sich die EU-Kommission von der Realität entfernt hat, zeigt folgender Satz: „Die Sektoren fossiles Gas und Atomenergie zeichnen sich durch eine rasche technologische Entwicklung aus.“ Wahrscheinlich meint die Kommission damit CCS (carbon capture and storage, CO2 Abscheidung und Speicherung), woran seit 20 Jahren mit viel Geld geforscht wird, was aber noch nirgends im Einsatz ist, sowie das Uralt-Konzept des Schnellen Brüters, das in Form der sogenannten „kleinen modularen Reaktoren“ wiederbelebt werden soll (siehe dazu folgenden Beitrag: https://www.jutta-paulus.de/kleine-modulare-reaktoren-ein-baerendienst-fuers-klima/ ).
Was sind die Kritikpunkte am Gutachten des Joint Research Centre?
Für die europäische Heinrich-Böll-Stiftung haben Dr. Christoph Pistner, Dr. Matthias Englert und Dr. Ben Wealer den JRC Bericht analysiert. Sie kommen zu dem Schluss, dass das JRC nicht wissenschaftlich sauber gearbeitet hat. So wurden für die Risikobewertung von Atommüll ausschließlich Veröffentlichungen der Internationalen Atomenergie-Agentur (deren Aufgabe die Förderung der Atomenergie weltweit ist) herangezogen. Risiken beim Rückbau von Reaktoren wurden gar nicht betrachtet. Nur die Hälfte der EU-Mitgliedsstaaten, die Atomkraft nutzen, haben ein Lager für schwach radioaktiven Müll, für mittelstark strahlenden Müll hat kein einziges Land ein betriebsbereites Lager. Hinsichtlich der Endlagerung von hochradioaktivem Müll betrachtet das JRC das Problem als gelöst, da es ja Konzepte gebe; zwischen Konzept und Umsetzung ist jedoch manchmal ein weiter Weg. Finnland ist das einzige Land weltweit, welches gerade ein Endlager baut; dies wird jedoch gerade mal für den finnischen Müll ausreichen. Auch für Unfälle wurde nur eine sehr begrenzte Literaturauswahl herangezogen. Sie werden nur unter dem Gesichtspunkt der direkten Todesopfer betrachtet; auf Jahrzehnte oder Jahrhunderte unbewohnbare Gebiete oder wirtschaftliche Verluste spielen keine Rolle. Schließlich gehen die Autoren noch auf den Punkt ein, dass das JRC die unzweifelhaften Verbindungen zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Atomenergie ausblendet.
Das österreichische Ökoinstitut untersuchte, ob das JRC in seinem Gutachten wissenschaftliche Standards befolgte (aktuelle Daten, Umgang mit Unsicherheiten, etc.). Es konstatiert, dass die Bewertung unzureichend ist, da Aktivitäten außerhalb der EU nicht bewertet werden. Außerdem wird seitens des JRC ignoriert, dass die Vorgaben zur Reaktorsicherheit Unfälle nicht mit absoluter Sicherheit ausschließen können. Hinsichtlich der Endlagerung nuklearer Abfälle betrachtet das JRC keine geologischen Veränderungen durch den Klimawandel, der beispielsweise zur Erhöhung des Meeresspiegels führen wird. Ebenso wird stillschweigend davon ausgegangen, dass auch in tausend Jahren noch Kenntnis darüber vorhanden sein wird, welche Risiken von radioaktiver Strahlung ausgehen. Zur Risikobeurteilung vergleicht der JRC Carbon Capture and Storage (CCS) mit Atomkraft, was nur sehr begrenzt vergleichbar ist. Stattdessen attestiert der JRC einer Technologie zur Verringerung nuklearer Abfälle durch Trennung und Wiederaufbereitung von Atommüll eine positive Beurteilung. Diese Technologie gibt es noch nicht. Ob und wie sie jemals in einem industriellen Maße zum Einsatz kommen wird, ist vollkommen offen. Das Proliferationsrisiko (also das Risiko der Verbreitung von potentiell waffenfähigem Nuklearmaterial) wird ebenfalls nicht betrachtet.
Die Kanzlei Redeker/Sellner/Dahs betrachtete die Ergebnisse des JRC aus rechtlicher Perspektive. Dabei wurde der Frage nachgegangen, ob Atomkraft einen maßgeblichen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels leistet. Zudem wurde untersucht, ob Atomkraft signifikanten Schaden verursachen kann. Grundlagen waren die Taxonomie-Verordnung sowie das EU-Primärrecht. Angesichts der überschaubaren Bedeutung von Atomkraft weltweit und der langen Bauzeiten stellen Redeker/Sellner/Dahs fest, dass ein maßgeblicher Beitrag unwahrscheinlich ist. Hinsichtlich signifikanter Schäden bemängeln Redeker/Sellner/Dahs, dass Wahrscheinlichkeiten betrachtet wurden anstelle des konkreten Risikos, und dass das JRC Auswirkungen von Strahlung auf Ökosysteme mit dem Verweis auf den Menschen als „empfindlichste Art“ (wofür es keinerlei Beleg gibt) nicht untersucht hat.
Werden Gas und Atom damit als „Grünstrom“ klassifiziert?
Nein. Investitionen in Erneuerbare gelten als uneingeschränkt nachhaltig; solche in Gas und Atom sind nur als Übergangslösung akzeptabel. Auf die Regelungen in der EU-Erneuerbaren-Richtlinie hat die Taxonomie keine Auswirkung.
Wie geht es nach dem Kommissionsvorschlag weiter?
Trotz massiver Kritik der Plattform für nachhaltiges Finanzwesen und der eindringlichen Bitte, mit der Vorstellung des Rechtsakt zu warten, hat die Europäische Kommission am 2. Februar den zweiten Delegierten Rechtsakt zur EU-Taxonomie vorgestellt und am 9. März offiziell an das Europäische Parlament übersandt. Die Plattform für nachhaltiges Finanzwesen ist eine Expertengruppe, die im Rahmen der Taxonomie-Verordnung eingesetzt wurde, um die Europäische Kommission bei der Entwicklung ihrer nachhaltigen Finanzpolitik zu unterstützen. In ihr sitzen Expertinnen und Experten aus der Finanzwirtschaft und aus zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie Beobachterinnen und Beobachtern aus Institutionen wie der Europäischen Zentralbank, der Europäischen Investitionsbank oder der Europäischen Umweltagentur.
Die Plattform für nachhaltiges Finanzwesen erteilt den Kommissionsplänen eine klare und unmissverständliche Absage, da sie den Kriterien in der bereits gültigen EU-Taxonomie-Verordnung widersprechen und die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Taxonomie damit untergraben (Response to the Complementary Delegated Act). So unterscheiden sich die technischen Prüfungskriterien für den zweiten Delegierten Rechtsakt grundsätzlich von den bereits angenommenen Kriterien im ersten Delegierten Rechtsakt. Weder Atom noch Gas erfüllen das von der EU-Taxonomie geforderte Prinzip des „Do no significant harm“, und sie tragen weder zur Einhaltung der 1,5 Grad Grenze noch zur Erreichung des EU-Emissionsreduktionsziels von 55 Prozent bis 2030 bei. Die Wissenschaftler kritisieren, dass der Kommissionsvorschlag für den zweiten Delegierten Rechtsakt der EU-Taxonomie auf unwissenschaftlichen Annahmen fußt und für Finanzmärkte nicht zu gebrauchen ist. Darüber hinaus wurde von der Kommission weder eine öffentliche Konsultation noch eine Folgenabschätzung in die Wege geleitet.
Allen rationalen Argumenten, öffentlichem Druck und wissenschaftlichen Warnungen zum Trotz hat die Europäische Kommission den zweiten Delegierten Rechtsakt für Atom und Gas auf den Weg gebracht. Jetzt liegt es vor allem am Europäischen Parlament, ihn zu verhindern. Das EU-Parlament und der Rat der Mitgliedstaaten haben ab jetzt vier Monate Zeit, Einspruch gegen den Delegierten Rechtsakt einzulegen und ihn damit zurückzuweisen. Der Kommissionsvorschlag kann nicht mehr verändert, sondern allenfalls als Ganzes abgelehnt werden. Eine formale Zustimmung ist nicht erforderlich. Für eine Ablehnung gibt es hohe Hürden: Im Rat der Mitgliedsstaaten bedarf es einer „verstärkten qualifizierten Mehrheit“ aus 20 Mitgliedstaaten, die zusammen 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Im EU-Parlament braucht es hingegen nur eine absolute Mehrheit. Die Mehrheit im Rat gilt als unwahrscheinlich, aber im Europäischen Parlament besteht eine Chance, den zweiten Delegierten Rechtsakt zur EU-Taxonomie zu stoppen. Dafür braucht es eine starke, länder- und fraktionsübergreifende Mehrheit von 353 Europaabgeordneten. Ich werde zusammen mit meiner Fraktion dafür kämpfen, die nötige Mehrheit für eine Ablehnung des Kommissionsvorschlags zusammenzubekommen. Als letzter Weg bleibt eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Österreich und Luxemburg haben bereits angekündigt, im Fall der Annahme des Delegierten Rechtsakts vor den EuGH zu ziehen. Die Bundesregierung hält sich diese Option (Stand 03.02.2022) offen.