SOER 2020 – EU-Umweltstatusbericht Teil 5/11: Klimawandel
Im EU-Umweltstatusbericht (SOER) 2020 werden die bisherigen Entwicklungen des Klimawandels in Europa analysiert und notwendige Schritte zur Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad Celsius aufgezeigt.
Kapitel Klimawandel
Zentrales Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens ist es, die globale Erderwärmung auf 2 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen und möglichst auf 1,5 °C zu beschränken. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Europäische Union eine Reihe von Gesetzesinitiativen und Strategien auf den Weg gebracht. Der im November 2019 verkündete Europäische Grüne Deal soll die Klimaneutralität Europas bis 2050 weiter vorantreiben. Ob wir dieses Ziel erreichen werden, wird von der konkreten Ausgestaltung des Grünen Deals abhängen.
Schlüsseltrends
Seit 1990 hat sich der jährliche Ausstoß von Treibhausgasen um 1,2 Milliarden Tonnen CO2²-Äqvivalente verringert (Stand 2017). Das entspricht einem Rückgang um 22 % innerhalb von 27 Jahren. Laut Europäischer Umweltagentur sind jedoch enorme Anstrengungen nötig, um das Klimaziel für das Jahr 2030 zu erreichen. Bislang sind die CO2-Emissionen in allen Branchen zurückgegangen, mit Ausnahme des Verkehrssektors und der Verbrennung von Biomasse. Die gestiegenen Emissionswerte bei der Biomasse rühren von ihrer gestiegenen Nachfrage als Alternative zu Öl, Gas und Kohle her. Die größten Emissionseinsparungen erfolgten in der Produktion, bei der Elektrizitäts- und Wärmeproduktion sowie bei Heizungen in Privathaushalten.
Treibhausgasemissionen der Stromproduktion sowie energieintensiver Industriezweige fallen unter den EU-Zertifikatehandel (Emission Trading System, ETS). Für die sonstigen Bereiche („non-ETS“, also Verkehr, Gebäudewärme, Gewerbebetriebe, Landwirtschaft etc.) haben sich die EU-Mitgliedstaaten jährliche Emissionsminderungsziele gesetzt. Sektoren, die vom Emissionshandel reguliert werden, haben bisher mehr Treibhausgase eingespart als die non-ETS-Bereiche, nämlich zwei Drittel der europäischen Emissionsminderungen. Im non-ETS-Bereich hat der Anstieg der Emissionen im Fracht- und Individualverkehr sowie in der Landwirtschaft, insbesondere durch Bodenveränderungen und wachsende Tierbestände, die bereits erreichten Einsparungen bei Gebäuden, der Müllversorgung und der Kleinindustrie fast vollständig neutralisiert.
Analyse der Schlüsseltrends in Vergangenheit und Zukunft
Mit der derzeitigen Geschwindigkeit bei der Treibhausgasreduktion werden wir unsere Ziele bis 2030 nicht erreichen. Insbesondere bei der Energieeffizienz gibt es Aufholpotential. Problematisch ist dabei die immer noch vorhandene Verknüpfung von ökonomischem Wachstum und höheren Treibhausgasemissionen in den meisten europäischen Mitgliedsstaaten.
Es sind aber positive Trends erkennbar: Berechnungen zeigen eine sich abzeichnende Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und klimaschädlichen Emissionen für den Zeitraum 2015- 2030. So sanken dank Effizienzsteigerungen die Emissionen bei der Stromproduktion, obwohl mehr Strom produziert wurde. Auch der Wechsel von Kohle zu Gas hatte positive Effekte. Gleichzeitig fand in einigen Mitgliedsstaaten ein industrieller Wandel hin zu weniger energieintensiven Industriesektoren statt. Dennoch sind noch deutliche Effizienzsteigerungen im produzierenden Gewerbe wie auch bei stromverbrauchenden Geräten und Anwendungen notwendig, um die Klimaziele erreichen zu können.
Insgesamt ist der Primärenergieverbrauch in der Europäischen Union gesunken. Doch seit 2014 hat sich dieser Trend umgekehrt. Hauptgründe hierfür sind die Zunahmen im Verkehrsbereich sowie im Haushalts- und Dienstleistungsbereich. Deshalb ist die Erreichung des Klimaziels für 2020 sehr unwahrscheinlich.
Erneuerbare Energieträger
Die Nutzung fossiler Energieträger ist für den Löwenanteil klimaschädlicher Emissionen in der EU verantwortlich. Sie liefern 65 % der Endenergie und verursachen 80 % der gesamten europäischen Emissionen. 2017 lag der Anteil der erneuerbaren Energien in der gesamten EU bei 17,5 % (alle Bereiche: Strom, Wärme, Mobilität). Der größte Anteil entfällt dabei auf den Bereich Gebäudewärme, , gefolgt von regenerativem Strom. Kaum Veränderungen gab es innerhalb des Transportsektors. Im Strombereich verhindern ungünstige gesetzliche Regelungen oder technische Zugangsbarrieren eine stärkere Nutzung erneuerbarer Energien in manchen Mitgliedsstaaten.
Durchschnittliche Temperatur
Die globale Jahresdurchschnittstemperatur lag in der letzten Dekade (2009 bis 2018) ca. 0,91-0,96°C höher als in der vorindustriellen Zeit. Die europäische Landmasse hat sich im selben Zeitraum sogar um 1,6-1,7 °C erwärmt. Besonders alarmierend ist, dass 18 der 19 heißesten gemessenen Jahre seit dem Jahr 2000 gemessen wurden!
Hitzerekorde und Hitzewellen werden seit 1950 häufiger beobachtet, aber besonders deutlich erkennbar ist diese Entwicklung seit dem Jahr 2000. In neun Mitgliedsstaaten werden jeden Sommer mehr Tropennächte gezählt, in denen die Temperatur nicht unter 20 °C fällt. Der anthropogene Klimawandel erhöht die Wahrscheinlichkeit von Tropennächten um das 10- bis 100-fache. Zusätzlich werden Hitzewellen häufiger und halten länger an. Hitzewellen und Tropennächte belasten nicht nur die Natur, sondern auch die menschliche Gesundheit.
Wenn es uns nicht gelingt, unsere Emissionen zu verringern, erwartet der Weltklimarat IPCC für die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts Hitzewellen alle zwei Jahre. Die größten ökonomischen und gesundheitlichen Risiken von werden dabei an Flüssen mit niedrigem Grundwasserspiegel in Südeuropa und an der Mittelmeerküste auftreten; also in dicht besiedelten Gegenden. Auch in großen Städten besteht aufgrund der Bildung sogenannter „Hitzeinseln“ ein erhöhtes Risiko.
Starkregen und Überflutungen einerseits, Dürren andererseits
Zwar nimmt die Anzahl von Starkregenereignissen nicht zu, sehr wohl aber ihre Intensität. Vor allem südöstliche Mitgliedsstaaten sind besonders betroffen. Überflutungen betreffen vor allem die nordwestlichen und mitteleuropäischen Mitgliedsstaaten.
Die steigende Zahl an Dürren in Südeuropa geht einher mit einer stark ansteigenden Verdunstung von Wasser aus der Tier- und Pflanzenwelt und einer zunehmenden Austrocknung der Böden. Es kommt auch zu einem wachsenden Ressourcenkonflikt bei der Wassernutzung in der Landwirtschaft, der Industrie, dem Tourismus und in privaten Haushalten.
Der globale Meeresspiegel ist seit 1900 um 20 cm gestiegen. Verschiedene Prognosemodelle zeigen eine Steigerung des Meeresspiegels zwischen 1,5 m und 2,5 m im 21. Jahrhundert und um einige Meter bis ins 23. Jahrhundert, wenn die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens nicht erreicht werden.
Auswirkungen des Klimawandels auf Wälder und andere Ökosysteme
Prognosen erwarten zudem ein ansteigendes Waldwachstum in Nordeuropa und einen Rückgang des Waldzuwachses. Gleichzeitig verändern sich die Zusammensetzungen der Waldbestände. Ehemals in Mitteleuropa heimische Arten wandern in höhere Breitengrade ab oder treten nur noch in größeren Höhen auf. Da die Wanderungsbewegungen der einzelnen Arten nicht gleichmäßig sind, kann es zum Zusammenbruch von Nahrungsnetzen kommen. Feuerereignisse treten ebenfalls häufiger auf, besonders in Südeuropa, wo die Feuer in Portugal, Griechenland und Spanien 2017 und 2018 riesige Gebiete verheerten, mehr als hundert Menschen starben. Aber auch in Nordeuropa werden Feuerereignisse zur realen Gefahr, wie die Waldbrände in Schweden 2014 und 2018 zeigten. Auch Forstkrankheiten breiten sich – begünstigt durch warme und trockene Witterung – in ganz Europa aus.
Gesundheitliche und finanzielle Folgen durch den Klimawandel
Die Hitzewelle 2003 allein verursachte 70.000 vorzeitige Todesfälle in Europa. Durch die steigende Zahl von Hitzewellen ist mit einem starken Anstieg von Beeinträchtigungen und Sterbefällen in den verletzlichen Bevölkerungsgruppen (Ältere, Kinder, vorerkrankte Personen) zu rechnen. Die Kombination von Hitze, Luftverschmutzung, bodennahem Ozon, hoher Populationsdichte und der Entstehung von Hitzeinseln gefährdet vor allem die städtische Bevölkerung. Die gestiegenen Wassertemperaturen in der Ost- und Nordsee während der vergangenen Hitzewellen gingen mit einem unerwartet hohen Anstieg von bakteriellen Infektionen bei Menschen einher.
Die direkten wetterverursachten ökonomischen Verluste in den europäischen Mitgliedsstaaten werden auf 453 Milliarden Euro zwischen 1980 und 2017 beziffert. Auch Ereignisse außerhalb der EU, wie Überflutungen oder extreme Dürren mit entsprechenden Einflüssen auf den Weltmarkt, schwächen die europäische Wirtschaft.
Bisherige Schritte – Nutzen und Aussichten
Das Montreal-Protokoll zur Begrenzung ozonschädlicher Substanzen ist eines der erfolgreichsten multilateralen Abkommen zur Reduktion von Klimagasen in Europa und weltweit. Denn viele der ozonrelevanten Gase, wie beispielsweise Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW) sind auch extrem stark wirksame Klimagase. Das Verbot von FCKW hat zunächst zu einer vermehrten Nutzung von Fluorkohlenwasserstoffen (FKW) geführt, die ebenfalls stark klimawirksam sind. Inzwischen wurde das Montreal-Protokoll 2016 in Kigali um die Reduktion der FKW-Nutzung um 80 % innerhalb der nächsten 30 Jahre ergänzt wurde.
Im Energiebereich ist eine vollständige Abkehr von fossilen Energieträgern in der EU relativ problemlos erreichbar. Wenn die aktuellen Energieeffizienzbeschlüsse konsequent umgesetzt würden und die Verbreitung der moderner Technologien weiterhin ansteigt, können die Treibhausgasemissionen in der EU um 98 % im Energiebereich gesenkt werden. Das erfordert Investitionen in Erneuerbare Energien und Effizienzmaßnahmen; gleichzeitig müssen die Bemühungen zur Stilllegung konventioneller Energieerzeugung (insbesondere Kohle) intensiviert werden. Durch einen europaweiten Kohleausstieg könnten die Emissionen am schnellsten gesenkt werden; gleichzeitig würden auch weitere negative Effekte, wie die Freisetzung von Stickoxiden und Quecksilber, beseitigt.
Um die EU wieder auf den Pfad zur Erreichung des Klimaziels zu bringen, müssen die Mitgliedsstaaten ihre Anstrengungen hinsichtlich der Energieeffizienz verstärken – das heißt zunächst einmal: nachvollziehbar messen. Zusätzlich müssen die Effizienzziele weiter gesichert und auf den Verkehrsbereich übertragen werden. Der Emissionshandel wurde reformiert und für den Zeitraum 2021 bis 2030 verschärft, so dass die Emissionen in den Sektoren Stromproduktion und Industrie um 43 %, verglichen mit dem Jahr 2005, abgesenkt werden. Für die non-ETS-Sektoren wie Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft sollen die Emissionen bis 2030 um 30 % sinken.
Der „emissions gaps report“ („Emissionslückenbericht“) der UN-Umweltbehörde von 2018 zeigt, dass die derzeitigen Klima-Aktionspläne der Staatengemeinschaft eine Erwärmung um etwa 3 °C bis 2100 zur Folge hätten. Um die Lücke zur Begrenzung der weltweiten Erderwärmung auf 2°C (1,5°C) zu schließen, müssen die internationalen Anstrengungen deutlich gesteigert werden.
Klimawandelanpassung
Die Klimaanpassung ist im Gegensatz zum Klimaschutz zum breit getragenen Politikfeld geworden. Seit 2013 steigt die Zahl der nationalen Anpassungsstrategien stetig, und einige Mitgliedsstaaten haben ihre erste Strategie bereits durch eine revidierte ergänzt. Die Programme werden jedoch selten von einem Monitoring und/oder einer Evaluation begleitet. Stichworte sind hier Klimawiderstandsfähigkeit bei langlebiger Infrastruktur, Abstimmung mit internationalen Strategien, Umsetzungserfolg und Wirksamkeit nationaler Anpassungsstrategien, Ausdehnung lokale Anpassungsstrategien in allen Mitgliedsstaaten sowie der Analyse der Verteilungswirkung von Klimawandelfolgen und Anpassungsmessung.
Dies könnte zu Synergieeffekten zwischen Klimawandelanpassung, Klimawandelvermeidung und Katastrophenverminderung führen. Die Hotspots der notwendigen Klimaanpassung befinden sich häufig im transnationalen Raum, beispielsweise in der Arktis, in Südwesteuropa, rund um das Mittelmeer und in den Alpen. Für diese Regionen wurden in der EU vier makroregionale Strategien entwickelt. Diese befinden sich aber noch in unterschiedlichen Umsetzungsstadien.
EU-Finanzierungen und weitere EU-Aktivitäten
Um den Klimaschutz in der EU voranzubringen, wurde beschlossen, 20 % des europäischen Haushalts von 2014-2020 in klimaschutzbezogene Aktivitäten zu investieren. Dieses Ziel wird nach Analysen der Kommission erreicht, weitere Anstrengungen sind jedoch notwendig: Vor allem im Rahmen des regionalen Entwicklungsfonds als auch im Kohäsionsfonds wurde viel Geld investiert. Signifikante Veränderungen im Bereich der Landwirtschaft, der ländlichen Entwicklung und der Fischerei sind allerdings nicht erkennbar. Die Revision der Richtlinie zum Emissionshandel enthält neue Mechanismen in Form des Innovationsfonds und des Modernisierungsfonds. Damit sollen Finanzströme in nachhaltige Investitionen neu ausgerichtet werden. Im Abkommen von Kopenhagen vereinbarte man, ab 2020 100 Milliarden US Dollar pro Jahr für Klimaschutz und Klimaanpassung in den Entwicklungsländern bereitzustellen. Allerdings wurde kein Verteilungsschlüssel festgelegt – und die COVID-19-Pandemie könnte bedeuten, dass das Geld nicht zusammenkommen wird.