Nach dem EuGH-Urteil: Windenergie jenseits von Ausschreibungen beschleunigen

fordern die Grünen Julia Verlinden und Jutta Paulus. Das würde Bürgerenergiegesellschaften und Genossenschaften zu Investitionen motivieren, Bürokratie ersparen und der Windenergie zu neuem Schwung verhelfen.

Vor fünf Jahren hatte die Generaldirektion Wettbewerb einen Beschluss der EU-Kommission herbeigeführt, nach dem die Finanzierung von Erneuerbare-Energien-Anlagen über das EEG als staatliche Beihilfe anzusehen und nach EU-Recht zu genehmigen sei. Folgerichtig sollten im EEG die Beschränkungen und Vorgaben aus den „Leitlinien für staatliche Beihilfen in den Bereichen Umweltschutz und Energie“ gelten. Auf Basis der Beihilfe-Leitlinien konnte der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Im EEG sorgte er mittels Ausschreibungen dafür, dass der Ausbau der Erneuerbaren mit einer Obergrenze „gedeckelt“ wurde. Und über die in den Leitlinien spezifizierten Möglichkeiten für Ausnahmeregelungen für energieintensive Industrien schuf er Rechtssicherheit für milliardenschwere Subventionen beim Strompreis für die Großindustrie – finanziert durch Haushalte, Gewerbetreibende und den Mittelstand.

Jetzt hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass das EEG keine staatliche Beihilfe darstellt. Damit sind die Beihilfeleitlinien nicht (mehr) anwendbar. Welche Chance! Mit dieser Entscheidung des obersten europäischen Gerichts kann die Bundesregierung nicht länger den Verweis auf Brüssel als Ausrede nutzen, um zahlreiche Bremsklötze für die Erneuerbaren beizubehalten. Das weitreichende Urteil könnte den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland deutlich erleichtern.

Egal, ob man Ausschreibungen als wettbewerbliches Instrument begrüßt oder als bürokratische Hürde für kleine Akteure zum Beispiel aus den Reihen der Bürgerenergie verdammt, über eines besteht Einigkeit: Ausschreibungen begrenzen den Ausbau der Erneuerbaren sehr effektiv auf die ausgeschriebene Menge. Doch diese Beschränkung ist in Zeiten der Klimakrise absurd, wo jede neue Wind- oder Solaranlage den Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung beschleunigt. Doch die schwarz-roten Bundesregierungen wollten genau das bewirken: die Deckelung der Zukunfts-Energien, damit die alte Energiewirtschaft noch etwas länger den Großteil vom Kuchen abbekommt. Der Dynamik des Erneuerbaren-Ausbaus früherer Jahre wurden so Fesseln angelegt – mit fatalen Folgen. Der Gabriel‘sche „Systemwechsel“ hat die Branche massiv aus der Bahn geworfen, Bürgerenergiegenossenschaften demotiviert, neue Projekte zu planen, und vor allem einen riesigen Haufen neuer Bürokratie geschaffen.

Windenergie zu neuem Schwung verhelfen

Jetzt – nach dem EuGH-Urteil – muss endlich das umgesetzt werden, was eigentlich auch schon laut Beihilfeleitlinie erlaubt war: neue Windenergieprojekte auch außerhalb von Ausschreibungen zu ermöglichen. Was bei Solarstrom schon realisiert wird, nämlich kleine und mittelgroße Projekte zusätzlich zu den Ausschreibungsmengen zu bauen, würde auch der Windenergie wieder zu neuem Schwung verhelfen. Insbesondere Bürgerenergieakteure gehen unter Ausschreibungsbedingungen ungern das Risiko ein, einen Standort für Windräder mit hohen Vorabinvestitionen zu entwickeln und dann bei der Ausschreibung womöglich leer auszugehen.

Mit den aktuellen gesetzlichen Regelungen und dem schmalen Ausbaupfad der Erneuerbaren ist weder der Ersatz der bis 2022 abzuschaltenden Kohle- und Atomkraftwerke zu schaffen noch sind die (unzureichenden!) Klimaschutzziele der Bundesregierung bis 2030 einzuhalten. Angesichts der galoppierenden Klimaerhitzung mit täglich neuen Schreckensmeldungen ist es höchste Zeit für eine Erneuerbare-Energien-Offensive. Privatpersonen, Landwirte, Bürgerenergiegenossenschaften oder kleine GmbHs sollten Windenergieprojekte beispielsweise bis zu einer Leistung von 18 Megawatt nach einer planungsrechtlichen Genehmigung ohne Einschränkungen bauen dürfen.

Einfaches Verfahren spart Bürokratie

Zur Absicherung der Finanzierung muss eine vorab bekannte Marktprämie pro Kilowattstunde erzeugtem Windstrom gelten. Damit kommt es für diese wichtigen Investorinnen und Investoren zu einer doppelten Entlastung: Sie müssen nicht mehr fürchten, in einer Ausschreibung nicht zum Zug zu kommen, nachdem sie mit den Planungskosten ein hohes finanzielles Risiko eingegangen sind. Und das einfache Verfahren spart unendlich viel Bürokratie, die die Projekte lediglich teurer und langsamer macht. Die passende Marktprämie zu ermitteln wäre einfach. Sie könnte sich zum Beispiel an der durchschnittlichen Höhe der Ausschreibungen des vorangegangen Kalenderjahrs orientieren.

Dieser Ausbau der Windenergie zusätzlich zu den begrenzten Ausschreibungsmengen könnte einen wichtigen Beitrag leisten, um das Erneuerbaren-Ziel zu erreichen. Und es würde diejenigen wieder stärker zu Investitionen in Windenergie motivieren, denen wir in Deutschland in der Vergangenheit die Energiewende zum Mitmachen verdanken: Bürgerenergiegesellschaften und Genossenschaften.

Die hier skizzierte Wind-Offensive ist sicher nicht ausreichend, um die Defizite der Vergangenheit in Gänze auszugleichen – zumal weitere Hindernisse, wie beispielsweise von Militär oder Flugsicherung blockierte Windpark-Genehmigungen, den Ausbau der Windenergie unnötig verzögern. Doch sie ist ein erster wichtiger Schritt, um der Windenergie zu neuem Schwung zu verhelfen. Und sie ist sofort umsetzbar, ohne mit dem EU-Recht zu kollidieren. Die Zeiten der Ausreden seitens der Bundesregierung sind vorbei!

Das Gerichtsurteil

Ende März hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in der Fassung von 2012 keine staatliche Beihilfe war. Er gab damit der Bundesregierung Recht, die gegen eine entsprechende Beurteilung der EU-Kommission geklagt hatte. Diese hielt die vermeintlichen Beihilfen zwar größtenteils für im Detail rechtmäßig, durch die grundsätzliche Einstufung erlangte sie aber Mitspracherecht bei den folgenden Novellen des Gesetzes. Dabei wurde letztlich das System gesetzlich definierter Einspeisevergütungen durch ein Ausschreibungsmodell ersetzt. Im Umlage-Mechanismus des EEG habe der Staat jedoch keinen direkten Zugriff auf die Gelder, so die Richter. Daher sei es weder eine Beihilfe, wenn Ökostromerzeuger damit gefördert werden, noch wenn Industrieverbraucher Rabatte bei der Umlage genießen. (Tim Altegör)

Dieser Artikel stammt aus der „Neue Energie“.