Hoffnungsschimmer für den Artenschutz: UN-Ozeankonferenz setzt Standards für die UN-Biodiversitätskonferenz
Derzeit fehlen globale Ziele zum Schutz von Arten und Ökosystemen, obwohl inzwischen mehr als eine Million Arten weltweit vom Aussterben bedroht sind. Die bis 2020 gesteckten Ziele wurden verfehlt, und Corona-bedingt musste die UN-Biodiversitätskonferenz COP15 bereits mehrmals verschoben werden. Sie soll nun endlich vom 5. bis 17. Dezember im kanadischen Montreal stattfinden. Angesichts des fortschreitenden Biodiversitätsverlust drängt die Zeit, doch das Problem sind nicht die seit zwei Jahren überfälligen Erhaltungsziele. Denn bisher hat die Staatengemeinschaft ihre auf den UN-Biodiversitätskonferenzen verabschiedeten Ziele noch kein einziges Mal erreicht!
Beim Biodiversitätsschutz und dem Schutz von Ökosystemen geht es letztendlich um das Überleben der Menschheit, doch die Mühlen mahlen hier besonders langsam. Anstatt die zeitlichen Versäumnisse durch die Corona-Pandemie durch mehr Kooperation und mehr Tempo auszugleichen, endeten zwei Vorbereitungskonferenzen zur COP15 enttäuschend und offenbarten die tiefen Gräben zwischen den Ländern des globalen Nordens und Südens. Es geht um dringend benötigtes Geld für den Artenschutz, Uneinigkeit beim Schutzziel von 30 Prozent aller Land- und Meeresgebiete bis 2030, Meinungsverschiedenheiten bei der Begrenzung schädlicher Subventionen und des Pestizideinsatzes, kolonialistische Vorstellungen von menschenleeren Schutzgebieten und die richtigen Maßnahmen gegen invasive Arten und Biopiraterie. Die COP15 sollte das Artenschutzäquivalent zur Pariser Klimakonferenz werden und Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft geben. Doch die Fronten sind derart verhärtet, dass einige afrikanische Länder damit drohten, das Abkommen in Montreal nicht zu unterzeichnen.
Es bleibt weniger als ein halbes Jahr bis zur Biodiversitätskonferenz in Montreal, um Einigung bei der Ausgestaltung des Abkommens zu erzielen. Doch es gibt auch kleine Hoffnungsschimmer, wie die UN-Meereskonferenz Ende Juni gezeigt hat. Ebenfalls Corona-bedingt um zwei Jahre verschoben, beriet die Weltgemeinschaft dort erstmals seit 2017 wieder über wirksame Maßnahmen zum Schutz der Ozeane. Die am Ende ausgearbeitete Lissabon-Erklärung besteht aus mehr als 700 einzelnen Verpflichtungen. Es gab Fortschritte bei der Implementierung einer UN-Richtlinie zum Schutz maritimen Lebens und mehr als 100 Staaten haben sich verpflichtet, 30 Prozent der Meeresflächen bis 2030 zu schützen. Mehrere Länder kündigten zudem neue maritime Schutzzonen an, und im Kampf gegen die Plastikflut haben sich 21 weitere Staaten einer weltweiten Selbstverpflichtung für einen neuen Umgang mit Plastik angeschlossen. Kreislaufwirtschaft vermindert nicht nur die Menge des Plastikmülls in den Ozeanen um 80 Prozent, sondern reduziert auch 25 Prozent der durch die Plastikproduktion bedingten Treibhausgase.
Eine neu gegründete Allianz für ein Moratorium gegen den Tiefseebergbau wird bindende internationale Regeln beim Tiefseebergbau und zum Schutz maritimer Ökosysteme vorantreiben. Darüber hinaus verpflichteten sich private Spender*innen, eine Milliarde US Dollar für den Schutz der Ozeane und die Schaffung neuer Schutzgebiete zur Verfügung zu stellen.
Die Fortschritte im Meeresschutz sind ein gutes Omen für die UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal. Der Europäischen Union kommt nun eine besondere Verantwortung zu. Es gilt, Brücken zu schlagen und Standards zu setzen. Es ist gut, dass die Europäische Kommission angekündigt hat, sich auf der COP15 für ambitionierte Ziele zum Schutz der Hochsee und maritimen Artenvielfalt sowie neuer Schutzzonen in der Antarktis stark zu machen. Auch im Kampf gegen Meeresverschmutzung und Tiefseebergbau will die Kommission vorangehen. Im Rahmen der Ausweitung des Europäischen Emissionshandels wird zudem ein neuer EU-Meeresschutzfond geschaffen, der auch aus Gewinnen des Emissionshandels gespeist werden soll.
Allerdings kann die COP15 nur zum Erfolg werden, wenn Schutz- und Renaturierungsziele für alle Meeres- und Landökosysteme ergriffen werden und die Europäische Union es schafft, möglichst viele Staaten bei ambitionierten und bindenden Zielen an Bord zu holen. Das jüngst vorgestellte EU-Renaturierungsgesetz umfasst ehrgeizige Ziele, bleibt bei der Durchsetzbarkeit jedoch hinter dem innerhalb der Europäischen Union Möglichen zurück. Zudem beinhaltet es etliche Schlupflöcher und Ausnahmen. Ein globales Abkommen sollte die dramatische Situation der biologischen Vielfalt insbesondere in Europa in den Blick nehmen, konkrete und messbare Ziele benennen und die „Green List“ der Internationalen Naturschutzunion beherzigen.
Wenn das EU-Renaturierungsgesetz zum Artenschutzäquivalent des EU-Klimagesetzes wird, besteht Hoffnung, dass davon auch eine Signalwirkung für die COP15 in Montreal ausgeht. Montreal braucht einen „Paris-Moment“!