Einfälle statt Abfälle

Meine langjährige Tätigkeit im Labor hat mir einige Probleme in der chemischen Industrie vor Augen geführt. Vor allem eine Denkweise konnte ich beobachten: die der Linearwirtschaft. Linearwirtschaft bedeutet, dass ein Rohstoff einmal benutzt und danach weggeworfen, also deponiert oder verbrannt wird. Es werden also viele Abfälle geschaffen, deren energetischer Wert nur durch Verbrennung, und nicht durch Wiederverwendung oder Recycling genutzt wird.

Es ist richtig, dass in Deutschland bereits viel recycelt wird: beim Plastik sind es immerhin 17,5 %. Der Rest wird verbrannt oder exportiert. Außerdem werden viele Rohstoffe, die in unseren Elektroprodukten stecken, unter menschenunwürdigen Bedingungen recycelt, oft in den Ländern des Globalen Südens. Solche Arbeiten werden von den schwächsten und ärmsten Teilen der Menschheit ausgeführt, damit wir unsere Konsumbedürfnisse nach Handys, Laptops und anderen Geräten möglichst „billig“ befriedigen können. Darüber hinaus werden auf diese Weise meist nur die in größeren Mengen enthaltenen Metalle wie Kupfer oder Eisen zurückgewonnen, während Zink, Indium oder Niob verloren gehen – und die Umwelt vor Ort belasten. Auch hier zeigt sich, was „der Markt“ nicht regeln kann: es braucht klare Richtlinien und Gesetze, um Ausbeutung und Umweltverseuchung zu verhindern. Diese Verantwortung muss der Staat wahrnehmen und kann sich nicht auf „die Verbraucher*innen“ abschieben.

Kreislaufwirtschaft

Das Gegenstück zur Linearwirtschaft ist die Kreislaufwirtschaft. In einem geschlossenen System wie der Erde können nicht dauerhaft Ressourcen abgebaut und weggeworfen werden, denn diese Ressourcen sind schlicht endlich, auch wenn von manchen Ökonomen diese offensichtliche Endlichkeit nicht berücksichtigt wird. Die Kreislaufwirtschaft nimmt sich Ökosysteme zum Vorbild, in denen es keinen Abfall gibt. Alle Stoffe werden durch verschiedenste Prozesse wiederverwertet, totes Gewebe ist Lebensraum für Pilze und Bakterien, aus deren Stoffwechselprodukten werden Nährstoffe für Pflanzen.

Dieses Prinzip lässt sich auf alle Wirtschaftsbereiche übertragen – damit könnte der Begriff „Abfälle“ aus dem Vokabular gestrichen werden. Denn in einer Kreislaufwirtschaft sind nicht mehr brauchbare Produkte ein Grundstoff für neue Produkte. Natürlich liegt der Wiederverwertungsgrad von vielen Ressourcen nicht bei 100%. Deshalb ist es auch Ziel der Kreislaufwirtschaft, neue Produkte so zu gestalten, dass sie möglichst langlebig sind und nach Ablauf der Lebensdauer entweder einem neuen Verwendungszweck zugeführt werden können, oder mit einer hohen Recyclingquote zu neuen Ressourcen verarbeitet werden können. Konzepte wie „Cradle-to-Cradle“ sind hier Vorreiter.

Kreisläufe in der chemischen Industrie

In der Chemie ist z.B. die Verbundproduktion interessant. Dabei werden Anlagen zu einem Verbund verknüpft, die voneinander z.B. durch Abwärme oder „Abfall“-Stoffe profitieren. Andere Ansätze zielen darauf ab, Abfälle von einem Betrieb als Ressourcen für andere Betriebe zu erkennen. „Infraloop“, eine Plattform, die eine Art Stoff-Matchmaking für die Industrie betreibt, sucht eben solche Abfälle und versucht dafür einen Abnehmer zu finden, der die Abfälle aufbereitet und weiterverwertet.

Ein weiteres Konzept, das in der chemischen Industrie Anwendung finden wird, ist das „Chemcycling“. Mit diesem Verfahren können chemische Grundstoffe aus recycelten Kunststoffabfällen hergestellt werden. Im nächsten Schritt können dann wieder verschiedenste Produkte und auch neue Kunststoffe gewonnen werden. Wesentlich sinnvoller wäre es allerdings, die Erdölvorräte der Erde nicht zum großen Teil für die Produktion von Wärme und Elektrizität zu verwenden, sondern sparsam damit umzugehen und sie für die Herstellung chemischer Grundstoffe zu nutzen.