AKW Ostrovets: Die neue nukleare Gefahr an unserer Grenze
AKW Ostrovets: Die neue nukleare Gefahr an unserer Grenze
Das Europäische Parlament hat heute mit großer Mehrheit eine Resolution verabschiedet, in dem es Belarus dazu auffordert, alle Sicherheitsanforderungen für das neue Atomkraftwerk Ostrovets (auch Astrawez) umgehend umzusetzen. Solange das AKW den internationalen Sicherheitsstandards nicht genügt, darf es nicht ans Netz gehen. Die Sicherheit der Bürger*innen von Belarus und der Europäischen Union muss oberste Priorität haben. Die Resolution wurde von uns Grünen initiiert, mein Fraktionskollege Bronis Ropé aus Litauen hat es geschafft, auch die anderen Parteien von einem progressiven Text zu überzeugen.
Das Kernkraftwerk Ostrovets, zugehörig zur Baureihe WWER-1200, wird auch „Kernkraftwerk Belarus“ genannt, denn es ist das erste Atomkraftwerk des Landes. Es liegt nur 20 km von der EU-Außengrenze und 45 km von der litauischen Hauptstadt Vilnius entfernt. Auch Polen, Lettland und Estland sind in unmittelbarer Nähe. Das Kraftwerk soll nach seiner Fertigstellung 40 Prozent des Strombedarfs in Belarus decken. Ursprünglich geplant, um die Abhängigkeit von Russland zu verringern, hat sich das Projekt als Bumerang erwiesen: sowohl technologisch wie finanziell ist das AKW Ostrovets komplett unter russischer Kontrolle.
Uns Abgeordnete beunruhigt aber etwas Anderes: Die Empfehlungen für die Behebung von Sicherheitsrisiken, die 2018 von Expert*innen der EU nach Stresstests erarbeitet wurden, sind jedoch bis heute nicht voll umgesetzt. Dass das AKW Ostrovets trotzdem im März den kommerziellen Betrieb aufnehmen soll, gefährdet nicht nur die Bürgerinnen und Bürger in den baltischen Staaten, sondern in der gesamten EU.
Deshalb fordern wir Abgeordnete in unserer Resolution von der Europäischen Kommission, dass sie auf der Umsetzung aller Sicherheitsempfehlungen besteht. Belarus muss einen Nationalen Aktionsplan entwickeln und mit der Europäischen Gruppe der Regulierungsbehörden für nukleare Sicherheit (ENSREG) zusammenarbeiten. Darüber hinaus brauchen ein Frühwarnsystem für Strahlung aus dem AKW Ostrovets.
Nachdem Belarus die Einreise der Expert*innen im Dezember überraschend abgesagt hatte, ließ es das Team von ENSREG diese Woche endlich ins Land, damit sie sich ein Bild von der Sicherheitslage vor Ort machen können. Bau und Inbetriebnahme des Kraftwerks waren begleitet von der Nichteinhaltung internationaler Konventionen zu Umweltverträglichkeitsprüfung und Einflussnahme der Zivilgesellschaft, dem massiven Mangel unabhängiger Kontrolle, dem Unwillen, Sicherheitsanforderungen zu respektieren sowie der Weigerung Belarus‘, die Empfehlungen der EU-Stresstests umzusetzen. Bereits acht Störfälle sind bekannt, noch vor der Aufnahme des Regelbetriebs. Doch Belarus hat diese stets versucht zu verschleiern, zu leugnen und schließlich herunterzuspielen.
Schon bei der Standortauswahl für das AKW wurde gegen Regeln verstoßen, denn international hat man sich darauf geeinigt, Atomkraftwerke nicht direkt an Landesgrenzen zu bauen. Zudem verstößt Belarus seit 2017 gegen die Aarhus Konvention und seit April 2019 gegen die Espoo-Konvention. Das sind zwei wichtige internationale Vereinbarungen zu Umweltrecht und Bürgerbeteiligung. Zivilgesellschaftliche Vertreter*innen, die gegen das Kraftwerk protestierten, wurden belästigt und bedroht.
Die AKW-Stresstests der EU wurden 2011 als Reaktion auf die Nuklearkatastrophe in Fukushima vereinbart. Sie sollen Risiken offenlegen und Sicherheitsanforderungen harmonisieren. Es dauerte sechs Jahre, um Belarus überhaupt von der Durchführung der Stresstests zu überzeugen. Im Jahr 2018 sprachen europäische Expert*innen von ENSREG zusammen mit der Internationalen Atomenergie Behörde IAEA schließlich 29 Sicherheitsempfehlungen für das Kraftwerk aus. Doch Belarus weigert sich, diese vollumfänglich umzusetzen und behauptet, die Stresstests hätten keine Sicherheitsmängel identifiziert.
Nach der Inbetriebnahme des AKW Ostrovets am 3. November 2020 hat die EU jeglichen Stromhandel mit Belarus eingestellt, jedoch kann derzeit rein physikalisch nicht verhindert werden, dass Strom aus Belarus in die Europäische Union fließt. Deshalb soll die Synchronisierung des baltischen Netzes mit dem kontinentaleuropäischen beschleunigt werden.
Die Debatte im Europäischen Parlament kann hier angeschaut werden: https://multimedia.europarl.europa.eu/de/plenary-session_20210211-0900-PLENARY_vd
Hier geht es zum Resolutionstext zu Ostrovets: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/B-9-2021-0109_DE.pdf