Methan – der böse Drache im Klimawandel
Update 03.12.2021: Zusammen mit meinen Kolleg*innen Schattenberichterstatter*innen der S&D, EVP und Renew habe ich, wegen unserer anhaltenden Bedenken zur EU-Methanverordnung, einen Brief an den Vizepräsidenten der EU-Kommission Frans Timmermans einen Brief geschrieben. Dieser kann hier nachgelesen werden.
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Was vielen nicht bewusst ist: die heute beobachtete Erderhitzung wird nur zu 75% von CO2 verursacht, die verbleibenden 25 % sind fast vollständig auf die Emission von Methan zurückzuführen. Dennoch wurden Methanemissionen lange Zeit wenig beachtet. Ein Grund ist sicherlich, dass sie schwieriger abzuschätzen sind als CO2, dessen Menge einfach aus den Mengen verbrannter Kohle, Öl und Gas berechnet werden kann. Wenn Wiederkäuer Methan ausscheiden oder eine Gasleitung undicht ist, lässt sich die freigesetzte Menge nur schwer abschätzen. Deshalb brauchen wir viel genauere Messdaten – und derzeit sind Messungen der Emissionen nicht verpflichtend. Ein weiterer Grund ist, dass die Normierung der Wirkung aller Klimagase auf einen Zeitraum von 100 Jahren in den Berichten des Weltklimarats IPCC die Schädlichkeit des kurzlebigen Methans verschleiert.
Da wir jedoch nur noch wenige Jahre haben, um gefährliche Klimakipppunkte zu vermeiden, sollten wir auch den Zeitrahmen für die Betrachtung der Treibhausgaswirkung verschiedener Emissionen anpassen: Methan hat zwar nur eine Halbwertszeit von 12 Jahren in der Atmosphäre, ist aber ein viel stärkeres Treibhausgas als CO2. Auf einen Zeitraum von 20 Jahren gerechnet entspricht 1 Gramm Methan 87 Gramm CO2. Warum das so wichtig ist? Die Lücke zwischen der notwendigen und der tatsächlichen Emissionsminderung wächst von Jahr zu Jahr. Je rascher wir die stark wirksamen Methanemissionen reduzieren, desto mehr Zeit haben wir für die wirklich schwierigen Bereiche wie Zementproduktion oder Stahlherstellung. Der Global Methane Assessment Bericht der Vereinten Nationen berechnet, dass uns 45% Methanreduktion bis 2030 ganze 0,3 °C Erwärmung in den 40er Jahren ersparen würden. Und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen berichtet in seinem Emission Gap Report, dass 15 % der im Pariser Abkommen geforderten Emissionssenkungen bis 2030 mit kostengünstigen und technisch machbaren Methanminderungsmaßnahmen erreicht werden könnten. .
Die Europäische Kommission hat im Oktober 2020 eine Methanstrategie veröffentlicht, in der sie beschreibt, wie sie die Emissionen aus dem Landwirtschaftssektor, dem Abfallsektor und dem Energiesektor angehen will. Die bittere Pille: im emissionsmäßig größten Sektor, der Landwirtschaft, will sie gar nichts tun. Im Abfallbereich sollen in den nächsten Jahren strengere Vorgaben für Klärschlamm und Restmüll kommen. Für den Energiesektor, in dem die Vermeidung von Emissionen am leichtesten ist, soll bereits Ende dieses Jahres eine Verordnung vorgelegt werden. Das Parlament wiederum arbeitet gerade an einem Initiativbericht, der die Methanstrategie aufgreift und eigene Vorschläge für Minderungsmaßnahmen macht. Dazu verhandle ich gerade im Umweltausschuss und im Industrie-, Forschungs- und Energieausschuss. Der Bericht soll nach der Sommerpause abgestimmt werden.
Seit ich 2019 Mitglied des Europaparlaments geworden bin, habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, das Thema Methan auf europäischer Ebene anzugehen. Denn innerhalb der EU werden zwar „nur“ zehn Prozent der globalen Methanemissionen freigesetzt, aber als größter Importeur von fossilem Öl und Gas tragen wir meiner Ansicht nach auch eine Verantwortung für die Emissionen in den Förderländern. Wir brauchen deswegen ein Enddatum für die Nutzung aller fossilen Brennstoffe. Idealerweise wäre dies das Jahr 2035 – das wäre konform mit dem Pariser Abkommen, wenn man das verbleibende CO2-Budget ab Dezember 2015 pro Kopf aufteilt.
Die Sektoren mit den größten menschenverursachten Methanemissionen in der EU sind:
- Landwirtschaft (53 %)
- Abfallwirtschaft (26 %)
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Energiewirtschaft (19 %). Würde man allerdings die “importierten” Methanemissionen berücksichtigen, wäre der Anteil der Emissionen des EU-Energiesektors höher, da die Methanemissionen im Energiesektor vorwiegend bei Gewinnung und Verarbeitung fossiler Brennstoffe entstehen. Diese aus den Nachbarländern und Übersee „importierten“ Emissionen werden in der Bestandsaufnahme nicht berücksichtigt..
Ich werde auch hier im Laufe des nächsten Jahres über die Entwicklungen der Verhandlungen auf EU-Ebene zu diesem wichtigen Gesetzesvorhaben auf dem Laufenden halten. Als erstes steht die Abstimmung im Umweltausschuss zum Initiativberichts des Europaparlaments am 27. September 2021 an.
Ich habe die Hauptpunkte unserer Forderungen im Folgenden zusammengefasst:
- In Anbetracht der negativen Auswirkungen von Methanemissionen auf das Klima und die Luftverschmutzung sollte die EU Maßnahmen ergreifen, um ihre anthropogenen Methanemissionen rasch zu minimieren, sowohl die inländischen als auch die in den Produktionsländern, aus denen wir fossile Brennstoffe importieren.
- Ein Rechtsrahmen sollte verbindliche Ziele festlegen, mit denen die EU ihren fairen Anteil zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5° C beitragen kann. Nach Analysen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen müssen die globalen Methanemissionen bis 2030 um 40 bis 45 % reduziert werden, um die globale Erwärmung in diesem Jahrhundert auf 1,5° C zu begrenzen.
- Die EU-Methanstrategie der Kommission kündigte eine Reihe von Maßnahmen an, um Methanemissionen sowohl genauer zu messen als auch zu reduzieren. Messen allein reduziert aber noch kein Gramm Treibhausgas. Deshalb dürfen Reduktionsmaßnahmen wie ein Verbot von „Venting“ (Ablassen unverbrannten Gases in die Atmosphäre) oder „Flaring“ (Abfackeln) nicht aufgeschoben werden.
- Methan fällt derzeit nicht in den Geltungsbereich von zwei wichtigen EU-Umweltvorschriften:
- der Richtlinie zu nationalen Emissionsminderungsverpflichtungen (NEC)
- und der Richtlinie zu Industrieemissionen (IED). Die industrialisierte Tierhaltung, die Hauptquelle für Methanemissionen aus der Landwirtschaft, ist von der IED ausgeschlossen.
Beide Richtlinien sollten umgehend geöffnet werden, um diese Gesetzeslücke zu schließen und zu einer raschen Reduzierung der Methanemissionen beizutragen.
- Maßnahmen zur Eindämmung von Methanemissionen aus Landwirtschaft, Abfall und Energie müssen sich darauf konzentrieren, die Ursache der Emissionen zu bekämpfen. Sogenannte „End-of-the-Pipe“-Lösungen sollten nur an letzter Stelle stehen und keine Priorität haben.
- Die Landwirtschaftspolitik hat nicht zur Reduzierung der Methanemissionen geführt – im Gegenteil, von 2010 bis 2018 haben die Methanemissionen zugenommen. Es gibt keine wirksame Alternative zur Reduktion der Tierzahlen. Durch eine Umstellung der Tierhaltung auf weidebasierte, extensive Landwirtschaft und eine Änderung des Konsumverhaltens, unterstützt durch alle relevanten EU-Gesetze (GAP, Förderpolitik, Horizon2020, Vorschriften für das öffentliche Beschaffungswesen…) werden nicht nur Methanemissionen reduziert, sondern auch Tierwohl, Gesundheit und Artenvielfalt positiv beeinflusst.
- Das Potential technischer Lösungen in der Landwirtschaft ist begrenzt. Natürlich ist es nicht falsch, Biogas aus landwirtschaftlichen Abfällen herzustellen, noch dazu, wenn diese ansonsten unkontrolliert vergären und entstehendes Methan freigesetzt wird. Aber die EU sollte keine „falschen Lösungen“ unterstützen: weder die Produktion von Pflanzen zur ausschließlichen Nutzung in Biogasanlagen, noch die Errichtung von Biogasanlagen, die auf den Weiterbestand der Massentierhaltung angewiesen sind. Außerdem sollte die Einführung von Strafzahlungen für Methanemissionen für große Emittenten in Betracht gezogen werden.
- Um die Emissionen aus dem Abfallsektor zu verringern, darf die Kommission die Nichteinhaltung von EU-Abfallvorschriften nicht länger tolerieren, sondern schnellstmöglich Vertragsverletzungsverfahren gegen die jeweiligen Mitgliedsstaaten einleiten. Wir brauchen eine Nutzungskaskade biologischer Abfälle: zunächst direkte Verwertung als Tierfutter (beispielsweise auch in der Insektenzucht), dann Verwertung in der Biogasanlage und Kompostierung der Reste. Die Deponierung organischer Abfälle muss so bald wie möglich beendet werden.
- Im Energiesektor brauchen wir ein sofortiges Verbot des routinemäßigen Ablassens („venting“) und Abfackelns („flaring“), denn diese Praktiken sind in hohem Maße für die Emissionen des Energiesektors verantwortlich. Außerdem brauchen wir Datenklarheit. Nur mit Verpflichtungen zur Überwachung, Berichterstattung und Verifizierung (MRV) von Methanemissionen erhalten wir ein stringentes Bild über die Emissionen des heimischen Öl- und Gassektors. Fehlende Daten dürfen aber keine Ausrede für langsames Handeln sein: bereits Ende des Jahres wird die Kommission ihren Vorschlag für eine Verordnung zur Aufspürung und Reparatur von Lecks (LDAR) vorstellen. Es gibt keinen Grund, warum die Unternehmen nicht dazu verpflichtet werden, solche Reparaturen schnellstmöglich vorzunehmen. Denn Methan ist auch an der Bildung von Luftschadstoffen wie Ozon beteiligt. Mein Ziel ist, dass Importe in die EU davon abhängig gemacht werden, dass die Lieferanten ebenfalls ein MRV-System implementieren und langfristig ihre Standards an der EU-Gesetzgebung ausrichten. Das existierende Instrument der OGMP („oil and gas methane partnership“) auf Ebene der Vereinten Nationen beruht auf Freiwilligkeit und wird voraussichtlich keine umfassende Lenkungswirkung haben.