Deutsches Kohleverlängerungsgesetz -EU Kommission muss Kohleausstiegsgesetz auf Vereinbarkeit mit EU-Recht hin prüfen!
Stellungnahme von Jutta Paulus und Michael Bloss, Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament, zum Gesetzesentwurf für das Kohleausstiegsgesetz der Bundesregierung:
Heute hat der Deutsche Bundestag über den Gesetzesentwurf „zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung und zur Änderung weiterer Gesetze (Kohleverstromungsbeendigungsgesetz)“ abgestimmt. Klimapolitisch ist ein rechtssicherer Kohleausstieg wünschenswert, mit diesem Entwurf wird jedoch ein Rettungsring für die Kohleverstromung präsentiert.
Was sieht der Gesetzesentwurf vor? Grundsätzlich wird geregelt, wann und unter welchen Modalitäten die Erzeugung elektrischer Energie durch den Einsatz von Kohle in Deutschland beendet werden soll. Dabei ist eine schrittweise Reduzierung der Menge an Kohlestrom im Netz vorgesehen – von 30 Gigawatt Strom aus Kohle im Jahr 2022 soll bis 2030 eine Reduzierung auf 17 Gigawatt stattfinden, im Jahr 2038 soll keine Elektrizität mehr aus Kohle gewonnen werden. Bereits an dieser Stelle zeigt sich der mangelnde Ehrgeiz des Gesetzesentwurfs.
Die Verstromung von Kohle ist nicht nur massiv klimaschädlich, sondern schon heute nur durch Gewährung von Subventionen und Ausnahmetatbeständen konkurrenzfähig zu Erneuerbaren Energien – dennoch soll noch weitere 18 Jahre Strom aus Kohle produziert werden. Andere europäische Länder sind Deutschland hier einige Schritte voraus, so hat Belgien beispielsweise bereits 2016 seine Kohleförderung beendet. Das sogenannte Kohleausstiegsgesetz schiebt den Kohleausstieg derart lange auf, dass man in Wahrheit von einem Kohleverlängerungsgesetz sprechen muss.
Gleichzeitig wird durch die Gewährung unnötig hoher Kompensationszahlungen von fast 5 Milliarden Euro das politische Signal gesetzt, dass die fossile Industrie für die Beendigung der Klimazerstörung entschädigt werden muss. Dies sendet falsche Signale auch an andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Wie kann Deutschland seine eigenen Kohlekonzerne mit Unsummen entschädigen und gleichzeitig auf europäischer Ebene versuchen, andere Staaten wie beispielsweise Polen vom Kohleausstieg zu überzeugen, die es sich nicht leisten können, ihre Kohleindustrie „auszubezahlen“?
Für den Steinkohleausstieg soll die Bundesnetzagentur bis 2027 Ausschreibungen vornehmen, in deren Rahmen Anlagenbetreiber Stilllegungsgebote unterbreiten. Die vorgesehenen Höchstpreise (bis zu 100 Millionen Euro pro Kraftwerksblock) und Zahlungszeiträume stellen nach unserer Einschätzung staatliche Beihilfen dar, die durch die Generaldirektion Wettbewerb geprüft werden müssen. Eine Kompensation für die Aufgabe einer wirtschaftlich nicht tragfähigen Tätigkeit ist aus unserer Sicht nicht mit den Maßgaben der Europäischen Verträge vereinbar.
Ab 2027 wird eine gesetzliche Reduzierung der Steinkohleverstromung eingeführt, durch die die verbliebenen Kraftwerke ihren Betrieb nach und nach einstellen müssen.
Noch problematischer ist der für die Braunkohle vorgesehene Prozess. Das Kohleausstiegsgesetz soll die Bundesregierung ermächtigen, mit Betreibern von Braunkohleanlagen öffentlich-rechtliche Verträge abzuschließen, um die Konditionen der Stilllegung zu vereinbaren. Vertraglich sollen unter anderem die Höhe der staatlichen umsatzsteuerfreien Entschädigungszahlungen für die Stilllegung von Braunkohleanlagen vor dem Jahr 2030 sowie die Verwendung der Auszahlungen durch die Energiekonzerne festgelegt werden. Damit würde die Braunkohleverstromung vertraglich zementiert, da, anders als Gesetze, Verträge nur bei Einverständnis beider Unterzeichnenden aufgelöst werden können.
Die im Gesetzesentwurf enthaltenen Vorgaben für den Inhalt dieser Verträge lassen bedenkliche Regelungen vermuten. Explizit genannt wird, dass die „energiewirtschaftliche Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler“ rechtlich verbindlich festgeschrieben werden soll. Weitere Orte sollen also „rechtssicher“ abgebaggert werden. Ebenso gefährlich ist, dass in den Verträgen „die Kriterien und Rechtsfolgen unzulässiger gezielter nachträglicher Eingriffe in die Braunkohleverstromung unter Beachtung der Planungs- und Rechtssicherheit für den verbleibenden Betrieb“ festgelegt werden sollen.
Die Große Koalition bindet hiermit nicht nur ihre eigene aktuelle Regierung, sondern auch alle zukünftigen Regierungen während der Laufzeit des Vertrags, im schlimmsten Falle also bis 2038. Die Bundesrepublik wäre neben der ohnehin gegebenen rechtlichen Bindung an den Vertrag auch gezwungen, jegliche nachträglichen Beeinträchtigungen der Braunkohleverstromung zu unterlassen – andernfalls drohen Rechtsfolgen, vermutlich in Form weiterer Zahlungen an die Braunkohlekonzerne. So knebelt sich der Gesetzgeber selbst; insbesondere immissionsschutzrechtliche Vorgaben oder andere Umwelt- und Sicherheitsstandards könnten nicht mehr verbessert werden.
Besonders pikant: im August 2021 werden die im Rahmen der Industrieemissionsrichtlinie (RL 2010/75/EU) von der Europäischen Kommission erlassenen BREF-Standards mit Grenzwerten für Luftschadstoffe von Industrieanlagen in den Mitgliedstaaten rechtlich verbindlich. Ab dann gelten niedrigere Grenzwerte unter anderem für Stickoxide (NOx) und Quecksilber – Grenzwerte, die von vielen Braunkohlekraftwerken nicht eingehalten werden und deren Einhaltung die Bundesregierung nach Abschluss eines Vertrags, der nachträgliche Eingriffe verbietet, auch nicht mehr durchsetzen könnte. Soll hier eine gesetzliche Verpflichtung geschaffen werden, gegen Unionsrecht zu verstoßen? Oder sollen durch die Hintertür weitere Entschädigungstatbestände geschaffen werden? Denn eine Nachrüstung der Kraftwerke wäre wirtschaftlich so nicht darstellbar.
Der Gipfel der Absurdität findet sich allerdings in einem geleakten Entwurf des Vertragstextes mit den Betreibern: sollte die Europäische Kommission die Entschädigungsregelungen als unvereinbar mit dem Binnenmarkt erklären, verpflichtet sich die Bundesregierung, mit den Braunkohlebetreibern eine beihilfekonforme Regelung zu finden, die den ursprünglichen Entschädigungen möglichst nahekommt. Im Klartext: Binnenmarkt und Regeleinhaltung nur, wenn es deutschen Interessen dient.
Das klima- und gesellschaftspolitische Ziel, den Kohleausstieg möglichst schnell und fair zu gestalten, wird mit diesem Gesetz klar verfehlt.
Stellungnahme Kohleausstiegsgesetz